„Die Geschichte schreibt jeder selbst“
Professor Hengstschläger, Sie schreiben – in Anlehnung an den Verhaltensgenetiker Dean Hamer: „Gene sind nur Bleistift und Papier. Die Geschichte schreibt jeder selbst“. Können Sie an einem Beispiel erklären, was Sie damit meinen?
Ja, dieses Zitat von Dean Hamer verwende ich in etwas abgewandelter Form oft. Es soll zum Ausdruck bringen, dass bei dem meisten, was den Menschen zum Menschen macht, die Wechselwirkung zwischen genetischen Anlagen und der Umwelt entscheidend ist. Meine Erfolgsformel lautet: Jeder Mensch hat individuelle genetische Leistungsvoraussetzungen, diese müssen allerdings entdeckt werden und durch Üben, Üben, Üben – Extra Miles - in eine besondere Leistung umgesetzt werden. Es muss uns aber andererseits auch klar sein, dass Üben nicht bei jedem zum Gleichen führt. Darum halte ich zum Beispiel auch das richtige Talentmanagement für eine enorm wichtige Komponente als Voraussetzung für die Innovationskraft eines Unternehmens.
Wie gut wir unsere Geschichte schreiben können, hängt stark von unseren Rahmenbedingungen ab – unseren Elternhäusern, Kindergärten, Schulen, später dann den Unternehmen, in denen wir arbeiten. Wie könnten ideale Rahmenbedingungen für die Kompetenzentwicklung in Unternehmen aussehen? Welche Hebel und Instrumente sind hier wichtig?
Ich denke, um in Zukunft innovativ sein zu können, müssen wir Menschen erlauben, aktiv darauf zu verzichten, sich in Bereichen, in denen sie nicht so talentiert sind, mehr als unbedingt notwendig weiterzuentwickeln . Dadurch haben wir die nötige Zeit und entwickeln auch Kraft, Lust und Laune, um uns dort noch zu verbessern, wo wir bereits gut sind – und das führt zu Spitzenleistungen. Aus der Psychologie wissen wir, dass es Menschen oft schwer fällt, sich selbst einzuschätzen. Darum ist ein ehrlicher Umgang bei der Beurteilung intra- und interpersoneller Intelligenzen von Kindern, Schülern und Mitarbeitern unverzichtbar. Nur wer seine Stärken und Schwächen kennt, kann daran arbeiten. Natürlich müssen wir uns auch mit unseren Schwächen beschäftigen – aber nicht mehr als unbedingt notwendig. Stärken stärken ist die Devise.
Wenn wir über das Entwickeln von Talenten für die Zukunft sprechen, sind wir ganz rasch bei der VUCA-Welt. Wie berechtigt ist dieses Buzzword, das wir heute allerorten hören? Leben wir wirklich in Zeiten, die volatiler, unsicherer, komplexer und mehrdeutiger sind als frühere Jahrzehnte?
Die einen sagen aufgrund der vielen Daten, die wir heute auch über Menschen, etwa Kunden oder Mitarbeiter haben – Big Data –, und aufgrund der enormen Möglichkeiten, diese heute bereits zu speichern, zu vergleichen und über künstliche Intelligenz zu interpretieren – Predictive Analytics –, werden die Prognosen für die Zukunft immer besser und die Zukunft auch immer vorhersehbarer. Andere sprechen aber von dem enormen Zuwachs an Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität (VUKA) und einer immer unvorhersehbareren Zukunft. Ich meine, dass die Geschwindigkeit zugenommen hat, mit der die Zukunft – ob vorhersehbar oder unvorhersehbare Anteile – gewissermaßen auf uns zukommt. Wir müssen uns in der Gegenwart für beides rüsten.
Niemand kann die Zukunft eines Unternehmens oder einer Branche genau vorhersagen. Daher ist es auch so schwierig, Menschen dafür auszubilden. Sie sprechen in diesem Zusammenhang von gerichteter und ungerichteter Bildung. Was ist das genau und inwiefern brauchen wir beides?
Unter gerichteter Bildung verstehe ich die Weitergabe von bereits etabliertem Wissen, um Fragen, die mit hoher Sicherheit immer wieder auf uns zukommen werden, auch beantworten zu können. Ungerichtete Bildung zielt darauf ab, die Wahrscheinlichkeit zu steigern, dass wir durch Innovationen neue Ansätze – vielleicht auch für heute noch unvorhersehbare Dinge – entwickeln. Dafür braucht es jede Menge Kompetenzen, kreatives und kritischen Denken, Kommunikation, soziale Intelligenzen und vieles mehr.
Ob es der hochentwickelte Roboter an der Fertigungsstraße ist oder der Algorithmus in der Recruiting-Software: Menschen werden voraussichtlich immer häufiger mit irgendeiner Form von künstlicher Intelligenz zusammenarbeiten. Welche Fähigkeiten benötigen wir Menschen für diese Mensch-Maschine-Kooperationen? Und sind wir darauf überhaupt vorbereitet?
Die richtige Bildung ist von großer Bedeutung. Außerdem müssen wir das psychische Rüstzeug stärken, dass wir brauchen, um mit hohem Veränderungsgrad – Permanent Change – durch hohe Flexibilität umgehen zu können. Und es braucht Mut, immer weiter zu gehen, auch wenn nicht immer ganz klar ist, wo der Weg hinführt. Wer mit offenen Augen und Ohren und viel Mut immer weiter macht, findet Dinge, die er sucht, aber auch Dinge, die er nicht gesucht hat. Für letzteres verwenden wir in der Wissenschaft den Begriff Serendipität, der beschriebt, dass man auch zufällig etwas finden kann, was man nicht gesucht hat, und dabei sehr wichtige neue Lösungsansätze entdecken kann.
Was ändert sich durch den Einsatz von KI in den Unternehmen für die Aus- und Weiterbildner?
Natürlich brauchen wir Menschen, die programmieren können. Natürlich brauchen wir entsprechende Ausbildung in den MINT-Fächern. Das Ausmaß an Berührungspunkten mit digitalen Technologien nimmt sowohl im Berufsleben als auch im Privaten permanent zu. Aber wir brauchen auch entsprechende Kreativität, um neue Ansätze entwickeln zu können. Unter digitaler Bildung verstehe ich unter anderem aber auch, dass man den Umgang mit Daten unterrichtet, um im Internet das „Richtige“ vom „Falschen“ unterscheiden zu können.
Bitte vervollständigen Sie den folgenden Satz: „Die besten Lehrer, Ausbilder und Personalentwickler sind diejenigen…“
die Wissen vermitteln, Kreativität entfachen und Talente entdecken können.
Interview: Bettina Geuenich
Autoren / Interviewpartner
HRM Aktuell
- HRM Mitglieder: 4722
- HRM Fachartikel: 3223
- HRM Arbeitshilfen: 57
- HRM Videos: 81
- HRM Webinare: 0
- HRM Audiobeiträge: 385
- HRM Anbieter: 33
- HRM Jobs: 108